Bereit für die nächste Corona-Welle

Die Veranstaltungsbranche steckt seit der Covid-19-Pandemie in einer Krise. Wie lässt sich der Kulturbetrieb bei einer weiteren Corona-Welle trotz Hygienemaßnahmen fortführen? Das Forschungsprojekt „Hygieia” entwickelt einen Leitfaden.

Falls eintritt, was Virolog*innen befürchten, steht Prof. Thomas Sakschewski aus dem Fachbereich VIII der Berliner Hochschule für Technik (BHT) in den Startlöchern. „Wir beginnen unmittelbar mit einem wissenschaftlichen Feldversuch“, kündigt er an, sollten im Herbst die Covid-19-Infektionszahlen rasant steigen und die Behörden Einschränkungen auferlegen. Dem Kulturbetrieb drohen dann erneut Einlasskontrollen mit Impfnachweis und Testpflicht, Maskenpflicht und weniger Publikum.

Im Forschungsprojekt Hygieia befasst sich Sakschewski mit dem Infektionsschutz in der Veranstaltungsbranche. Sein Plan bei erneuten Restriktionen: Auf einem Event sollen 2000 Gäste mit Trackern, also kleinen technischen Geräten ausgestattet werden. Mit ihnen lassen sich die Abstände zwischen den Menschen messen. Registriert wird ebenso, wer mit wem wie lang in Kontakt stand. Aus den erhobenen Datensätzen können Kontaktwege und damit mögliche Infektionen abgelesen werden.

Chaos um Hygienekonzepte

Im Zentrum des Forschungsprojekts steht allerdings ein Dokument, das vor der Covid-19-Pandemie in der Veranstaltungsbranche unbekannt war: das Hygienekonzept. Während der Pandemie war für alle Veranstaltungen ein solches Dokument vorgeschrieben. Das Problem: „Nirgendwo ist festgelegt, was ein Hygienekonzept ist, was es beinhaltet“, sagt Sakschewski. Die Folge sei ein „Wildwuchs“ unterschiedlicher Ausarbeitungen gewesen.

In dem zweijährigen Projekt von BHT und Alice Salomon Hochschule (Projektleitung: Prof. Dr. Claudia Winkelmann), gefördert vom IFAF Berlin, sammelten die Wissenschaftler*innen zunächst Hygienekonzepte, wie sie bei Veranstaltungen Verwendung fanden. Daraufhin folgten Auswertung und Analyse, aus denen ein Modell hervorging. Es beschreibt, welche Maßnahmen des Hygienemanagements und des Infektionsschutzes für welche Veranstaltungen geeignet sind.

Forschung in Clubs

Ergänzt wurde das Modell mit Daten aus Feldstudien. So nahmen die Wissenschaftler*innen das Einlassverhalten an Berliner Clubs unter die Lupe. „Wir haben uns angeschaut, wie Besucher*innen und Betreiber*innen auf Hygienekonzepte reagieren, was funktioniert und was nicht“, sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter Stephen Willaredt. Weitere Daten bekam das Hygieia-Team beispielsweise bei einer Open-Air-Party im Club „Revier Südost“. Damals gab es ein Tanzverbot. Die Behörden genehmigten die Veranstaltung, da sie wissenschaftlich begleitet wurde. 270 Gäste erhielten dafür Tracker, um die Abstände der Menschen zueinander messen zu können. Es ist dasselbe Konzept, das Sakschewski nun wiederholen möchte.

Publikation geplant

Gegenwärtig arbeitet das Forschungsteam an einer Wechselwirkungsanalyse mitsamt Expertenbefragung, mit der das erarbeitete Modell überprüft werden soll. Zum Projektende im März 2023 sollen die Forschungsergebnisse publiziert werden. Geplant ist eine Handreichung, eine Art Leitfaden. „Es werden verschiedene Veranstaltungstypen und die passenden Infektionsschutzmaßnahmen beschrieben“, erläutert Sakschewski, der Veranstaltungsmanagement an der BHT lehrt.

Bedenken, dass sich mit Wegfall der Covid-19-Restriktionen niemand für die Forschungsergebnisse interessiert, hat er nicht. „Das Thema Hygienekonzept im Infektionsschutz wird in der Veranstaltungsbranche aktuell bleiben, insbesondere bei Großveranstaltungen.“ Schließlich sei das Hygieia-Modell auf andere Infektionskrankheiten anwendbar. „Covid-19 ist mit Sicherheit nicht die letzte Pandemie gewesen.“

Orientierung für Behörden

Erscheinen wird der Leitfaden im Beuth-Verlag, der zum Deutschen Institut für Normung (DIN) gehört. Sakschewski geht davon aus, dass sich staatliche Stellen an den Forschungsergebnissen orientieren werden. „Mit der Handreichung sind die Behörden in der Lage, Hygienekonzepte für unterschiedliche Veranstaltungsarten schnell und unkompliziert zu bewerten.“ Gleichzeitig hofft er, dass die Resultate in der Veranstaltungsbranche Gehör finden. Behörden und Veranstalter*innen dürften nicht erneut unvorbereitet in eine Pandemie schlittern. „Die Notfallhysterie muss aufhören.“

Weitere Information zum Forschungsprojekt: www.hygieia-berlin.de

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