Die Mechanik der Welt verstehen
Manchmal sucht sich eine Berufung einen Menschen. Bei Michael Weyde, der 1988 zum Wirtschaftsingenieurstudium nach Berlin kam, ist es so. Doch weder an der Technischen Universität, „zu unpersönlich“, noch in Berlin, hat es dem aus Bonn stammenden Alumnus damals gefallen. „Die Wohnungssituation war prekär“, erzählt er, „und man hatte das Gefühl, man wäre nicht willkommen.“ Es gab aber etwas, das sein ganzes späteres Leben prägen sollte. „Wirtschaftsingenieurwesen war nichts für mich, Maschinenbau dagegen begann mich zu interessieren. So wechselte ich zum Sommersemester 1990 an die damalige Technische Fachhochschule.“ Auch die Ereignisse seit 1989 trugen dazu bei, dass er in Berlin blieb. „Die Stadt veränderte sich. Die Geschehnisse damals live mitzuerleben, hat mich sehr beeindruckt.“
Goldwert: Grundlagen verstehen
„Das Studium an der TFH war super. Kleine Klassen, ein echtes Miteinander und man hatte den Eindruck, dass die Professoren sich für ihr Fach und die Studierenden interessierten. Der Stoff wurde nicht trocken serviert, sondern mit praktischen und lebensnahen Beispielen. Das war klasse“, schwärmt der Alumnus bis heute. „An der TFH wurde uns das Grundprinzip vermittelt, dass man in den Ingenieurwissenschaften nicht alles wissen, sondern vor allem logisch denken können muss.“ Noch während seines Studiums begann er, Autos zu reparieren und zu verkaufen. Er absolvierte mehrere Praktika in Sachverständigenbüros für Unfallgutachten, erst in Wiesbaden, später in Berlin. „Ich habe durch meine Praktika viele Kontakte geknüpft und die ,Mechanik` der Welt verstanden. Und die Welt konnte mich kennen lernen. Man sieht schnell, wie man theoretisches Wissen praktisch anwenden kann und die Sinnhaftigkeit des Studiums wird deutlich. Das hat mir sehr geholfen.“
Unfallopfer im Blick
Mit einem Praktikum im Ingenieurbüro von Prof. Hartmut Rau, Sachverständiger für Straßenverkehrsunfälle, der sich mit der Einführung von Unfalldatenspeichern in Fahrzeugen der Berliner Polizei beschäftigte, hat das Schicksal 1993 die Weichen gestellt. Heute macht sich Weyde dafür stark, dass Unfalldatenspeicher in allen Fahrzeugen installiert und verbessert werden. „Für die Unfallrekonstruktion ist es enorm wichtig, dass wir nachvollziehen können, wie sich das Fahrzeug und vor allem der Mensch am Steuer verhalten haben. Wurde der Unfall mit Absicht herbeigeführt oder geschah er unerwartet?“
Weyde promovierte, machte sich 1997 als Unfallsachverständiger selbstständig, und ist seit vielen Jahren öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. So war seine Expertise zum Beispiel beim Fall des Ku´damm-Rasers oder beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gefragt. Bis ins Alter von 67 Jahren will er seinen Beruf ausüben, sagt er. Danach möchte er sich vor allem gesellschaftspolitisch engagieren, damit Unfallopfern mehr Gerechtigkeit widerfährt. Das ist seit Jahren sein erklärtes Ziel. Hierfür war er zum Beispiel in Brüssel, um gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Zu seiner Alma Mater hat er erst seit Kurzem wieder Kontakt, hält einmal im Semester eine Vorlesung zur Tatortvermessung am Fachbereich III und betreut zwei Masterarbeiten. Auch an der Langen Nacht der Wissenschaften war er 2023 aktiv beteiligt.