Controlling mithilfe von KI im ÖPNV

In den Forschungsprojekten ReComMeND und ReComTrans untersuchen Wissenschaftler*innen, wie sich mit Methoden der „Predictive Analytics“ (PA) verlässliche Ertragsprognosen für öffentliche Verkehrsbetriebe berechnen lassen. Schon jetzt zeigt sich: Controlling mithilfe von PA besitzt Potenzial.

BVG-Straßenbahn
Das Forschungsteam kooperiert auch mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG).Bild: BVG/Sven Lambert

Das Deutschlandticket erleichtert vielen Menschen das Leben. Für das Projektteam um Prof. Dr. Thomas Winter, Fachbereich II, ist es hingegen eine Herausforderung. „Das Deutschlandticket wirbelt wie zuvor schon das 9-Euro-Ticket unsere Datenhistorie durcheinander“, sagt der Co-Leiter des Forschungsprojekts ReComTrans. Die Wissenschaftler*innen erproben in ihrem Projekt Methoden der Predictive Analytics und der Künstlichen Intelligenz (KI), um sie für das wirtschaftliche Controlling zu nutzen. Das Ziel: automatisierte Ertragsvorhersagen zur Entscheidungsunterstützung für den Öffentlichen Personennahverkehr unter Berücksichtigung externe Effekte und Einflüsse.

Für das Vorhaben kooperiert das Forschungsteam der Berliner Hochschule für Technik (BHT) und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) etwa mit den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), den Stuttgarter Straßenbahnen und dem internationalen Controllerverein. Zum Einsatz kommt ein selbst entwickeltes Prognose-Tool, das den Controller*innen hilft, Verkaufszahlen, Erlöse und Erträge auszuwerten und zu analysieren. Im Gegensatz zum klassischen Controlling, das vor allem historische Daten heranzieht, werden für die Prognosen zusätzliche Datenquellen wie beispielsweise die Bevölkerungsentwicklung, Arbeitsmarktdaten und Informationen zu speziellen Ereignissen wie Streiks oder Lockdowns während der Covid19-Pandemie genutzt. 

Komplexe Berechnungen

Mit der Einführung des Deutschlandtickets dürfte sich die Ausgangslage allerdings deutlich verändert haben. So werden andere Tickets vermutlich nun weniger verkauft. „Mit dem Deutschlandticket entkoppelt sich die Nachfrage weiter von der Historie“, sagt der Mathematiker. Die Datengrundlage müsse angepasst werden. Während der Corona-Pandemie, die die Fahrgastzahlen einbrechen ließ, behalf sich das Team mit Mobilitätsdaten aus dem Mobilfunknetz und aktuellen Tourismuszahlen. „Sie haben uns sehr geholfen, die Prognosen wieder in akzeptable Güte zu bringen.“

Auch ohne Sonderfälle sind die Berechnungen komplex: So umfassen die BVG-Daten rund 400 Tickettypen. Um daraus KI-gestützt einen Gesamtertrag kalkulieren zu können, kommen „hybride Prognosen“ zum Einsatz: Die Forscher*innen nutzen auf die jeweiligen Produktgruppen abgestimmte Verfahren, inklusive separat bestimmter Einflussfaktoren. Beispielsweise korrelieren die Tourismuszahlen mit dem Verkauf von Tageskarten. Bevölkerungs- und Arbeitsmarktzahlen beeinflussen die Abo-Tickets.

Transfer in Unternehmenspraxis

„Für die BVG haben wir eine sehr treffsichere Jahresertragsprognose erzielt“, sagt Winter. 2019, also vor der Corona-Pandemie, gelang eine im Controlling übliche Prognosegüte mit einer Fehlerabweichung von weniger als drei Prozent. Die KI-Software hat damit nach Angaben der Forscher*innen mit den Verfahren der Predictive Analytics geschafft, was menschliche Controller nur mit großem Aufwand leisten können. Controlling mithilfe von KI besitzt also Potenzial – auch über den ÖPNV hinaus.

Mit ihrem Projekt wollen die Wissenschaftler*innen kleinen Unternehmen und öffentlichen Betrieben Unterstützung im Controlling bieten. Im Vorgängerprojekt ReComMeND, gefördert vom Institut für angewandte Forschung (IFAF), erarbeitete das Team einen funktionsfähigen Software-Prototypen. Seit April 2023 werden die Methoden im IFAF-Projekt ReComTrans in die Unternehmenspraxis übertragen. Angedacht ist, die Software als Open-Source-Version zu veröffentlichen. Dafür soll es offene Workshops sowie eine Anleitung für KI-Projekte im Controlling geben.


Informationen und Kontakt

ReComMeND

ReComTrans (Folgeprojekt)


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