Herausforderungen gemeistert!

Clemens Villinger berichtet im Interview über seine Promotionszeit

Clemens Villinger berichtet im Interview über seine Promotionszeit
Bild: Henrike Naumann

Clemens Villinger hat am 30.09.2021 äußerst erfolgreich seine Promotion mit summa cum laude am Max-Weber-Kolleg an der Universität Erfurt abgeschlossen. Beschäftigt hat sich Herr Villinger mit dem Thema „Vom ungerechten Plan zum gerechten Markt? Konsum, Alltag und soziale Ungleichheit in der langen Geschichte der ‚Wende´“. Betreut wurde er von Frau Prof. Dr. Kerstin Brückweh (FB I) als Erstbetreuerin und Frau Prof. Dr. Christiane Kuller (Universität Erfurt, Zweitbetreuerin).

 

Lieber Clemens, herzlichen Glückwunsch noch einmal zum sehr erfolgreichen Abschluss deiner Promotion! Kannst du zunächst kurz dein Promotionsprojekt beschreiben.

Vielen Dank! In meinem Promotionsprojekt habe ich die Konsum- und Alltagsgeschichte der DDR und Ostdeutschlands vor, während und nach 1989/90 untersucht. Ich habe mir angeschaut, ob und wie sich das Konsumverhalten von Menschen in einem Dorf, einer Klein- und einer Großstadt über den revolutionären Systemwechsel von 1989/90 verändert hat. Dabei stand für mich die Frage im Fokus, welche Formen von sozialer Ungleichheit den Konsum prägten und warum diese Ungleichheiten als gerecht oder ungerecht wahrgenommen wurden.

Wie bist du auf das Promotionsthema gestoßen? Was hat dich an dem Projekt besonders fasziniert?

Nach einem Volontariat bei der Stiftung Berliner Mauer und einer Tätigkeit bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur habe ich 2016 eine Promotionsstelle gesucht. Ich bin dann auf die Ausschreibung von Kerstin Brückweh gestoßen, die zu der Zeit von der Leibniz-Gemeinschaft eine Förderung für das Forschungsprojekt „Die lange Geschichte der ‚Wende‘. Lebenswelt und Systemwechsel vor, während und nach 1989/90“ eingeworben hatte. Darauf habe ich mich dann beworben und die Stelle auch bekommen. Im Rahmen des am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) angesiedelten Projektes konnte ich dann an meinem Promotionsprojekt forschen.

Da die Stelle mit einem Fokus auf Konsum ausgeschrieben war, bin ich auf diese Weise zu diesem Thema gestoßen. Faszinierend fand ich zu beobachten, wie sich die Menschen in ihrem Alltag an die neuen wirtschaftlichen Bedingungen in der Marktwirtschaft angepasst haben und auf welches Vorwissen sie dabei zurückgreifen konnten. Für meine Arbeit habe ich ungefähr 150 Interviews aus den 1990er Jahren ausgewertet, in denen die Menschen sehr tiefe Einblicke in ihr erleben des Umbruchs gegeben haben. Bei der Analyse war für mich überraschend, dass viele der Menschen während des Umbruchs von 1989/90 und zu Beginn der 1990er-Jahre erwarteten, dass im sozialistischen Konsum nicht mehr erfüllte Vorstellungen von gerechter sozialer Ungleichheit mit der Marktwirtschaft verwirklicht werden könnten. Kurz gesagt:  viele erwarteten mit dem Systemwechsel die Etablierung einer ge­rechteren Wirtschaftsordnung.

Wie sah dein typischer Arbeitstag (oder eine typische Arbeitswoche) aus?

Zu Beginn des Projektes gab es viele interne Treffen, um die gemeinsame inhaltliche Ausrichtung innerhalb der Projektgruppe zu besprechen und Texte gemeinsam zu diskutieren. Uns war die enge Zusammenarbeit besonders wichtig. Parallel dazu dominierte die Suche, Aufbereitung und Analyse der Quellen meine Tage. Die zweite Hälfte der Promotion war dann mehr geprägt vom selbstständigen Schreiben der Arbeit, die ja bei Historiker:innen in der Regel mehrere hundert Seiten lang ist. Zwischendurch war ich natürlich noch auf Workshops und Konferenzen, sodass es schon abwechslungsreich war. Ein besonderes Highlight war unsere „Dialogreise“ im Januar 2020 - also noch kurz vor COVID - als wir durch einige der Untersuchungsorte gefahren sind, um unsere Forschungsergebnisse vor Ort zur Diskussion zu stellen. Dieser Citizen-Science Ansatz war ungewöhnlich und eine neue Erfahrung für mich.

Was war die größte Herausforderung während deines Promotionsvorhabens? Wie hast du sie gemeistert?

Abseits von inhaltlichen Problemen, dem Schreiben oder der Analyse meiner Quellen war die größte Herausforderung mich jeden Tag neu zu motivieren und dem Druck standzuhalten. Ich habe diese Herausforderungen gemeistert, indem ich mir eine regelmäßige Tagesstruktur zurechtgelegt habe. Das heißt, ich habe mich direkt nach dem Aufstehen an den Schreibtisch gesetzt und die schwierigsten Arbeiten des Tages als erstes erledigt.

Du hast ja assoziiert mit verschiedenen Einrichtungen zusammengearbeitet. Kannst du die Zusammenarbeit erläutern.

Ich wurde im April 2020 am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt assoziiert und habe dort auch das Promotionsverfahren durchlaufen. Aufgrund von COVID-19 war ich dann Ende September 2021 zu meiner Verteidigung zum ersten Mal physisch vor Ort. Die virtuelle Teilnahme an den Kolloquien hat mir ermöglicht mit Wissenschaftler:innen aus der Ethnologie und den Sozialwissenschaften zu diskutieren, völlig andere Texte zu lesen und meinen Horizont zu erweitern.

Was war das Besondere an dieser Zusammenarbeit. Gab es auch Herausforderungen?

Wie überall gehören das unterschiedliche wissenschaftliche Vokabular, voneinander abweichende Forschungslogiken und die wechselseitige Unkenntnis der Fachliteratur zu den Herausforderungen interdisziplinärer Zusammenarbeit. Besonders war vor allem, dass ich sozialwissenschaftliche Daten als historische Quellen interpretiert habe.

Wie hast du dich während der Promotion finanziert?

Finanziert habe ich mich zuerst über eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Projekt zur langen Geschichte der „Wende“.  Seit dem Auslaufen der Stelle im April 2020 arbeite ich am GESIS-Leibniz Institut für Sozialwissenschaften, in dem DFG-Projekt „Sozialdaten als Quellen des Zeitgeschichte“, zu dessen Initiator:innen unter anderem auch Kerstin Brückweh gehört.

Wer hat dich während der Promotion am meisten unterstützt?

Ich möchte hier ungern eine Hierarchie aufmachen, da ich von vielen Menschen zu ganz unterschiedlichen Phasen unterstützt wurde. Zentral war natürlich die intensive inhaltliche Betreuung von Kerstin Brückweh, die mir sehr weitergeholfen hat. Ohne die Unterstützung meiner Partnerin wäre das ganze Unterfangen aber auch nicht zu bewältigen gewesen. Aus meiner Sicht ist es wichtig ein weites Netzwerk zu haben und nicht zu zögern nach Hilfe zu fragen, auch wenn es mitunter schwerfällt.

Konntest du dich auch mit anderen Promovierenden austauschen? War das wichtig für dich und inwiefern?

Am ZZF gibt es ein wöchentliches Kolloquium nur für Doktorand:innen, von dem ich sehr profitiert habe. Zum einen, weil ich gemerkt habe, dass ich mit meinen Fragen und Problemen nicht alleine bin und zum anderen natürlich wegen des inhaltlichen Inputs. Ansonsten war der Kontakt zu meinen engsten Kolleginnen, mit denen ich mir auch ein Büro geteilt habe, besonders wichtig - auch privat über die Arbeit hinaus.

Wie hat die COVID19-Pandemie dein Promotionsvorhaben beeinflusst?

Ich hatte großes Glück, weil meine Archivrecherchen bei Ausbruch der Pandemie bereits abgeschlossen waren und ich zuhause schreiben musste. Leider wurde ich genau in der Woche als ich einreichen wollte positiv auf COVID-19 getestet und konnte meine Arbeit nicht persönlich abgeben.

Was planst du als Nächstes?

Zurzeit versuche ich Drittmittel für ein neues Projekt einzuwerben und bewerbe mich parallel auf Stellen z.B. an außeruniversitären Forschungsinstituten, Universitäten und Museen. Die Karrierechancen in den Geschichtswissenschaften sind aber sehr unsicher, deswegen bewege ich mich gerade in verschiedene Richtungen gleichzeitig. Die strukturellen Probleme in der Wissenschaft und die mangelnden Beschäftigungsperspektiven wurden und werden ja auch gerade unter dem Hashtag #ichbinhanna öffentlich diskutiert.

Was würdest du Studierenden, die sich für eine Promotion interessieren, mit auf den Weg geben?

Ich kann jetzt nur für den geschichtswissenschaftlichen Bereich sprechen, aber vielleicht drei Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten: Erstens ist es wichtig sich ein Thema auszusuchen, das man auch selbst richtig spannend findet. Zweitens ist die Frage der Betreuung zentral. Da muss jede und jeder selbst entscheiden, ob er oder sie einen enge oder nicht so enge Betreuung benötigt und dann eine Person anfragen, die auch die eigenen Bedürfnisse abdecken kann. Und drittens lohnt es sich meiner Erfahrung nach früh mit dem Schreiben zu beginnen, selbst wenn Textteile dann später nicht mehr gebraucht werden.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute für deine Zukunft!

Das Interview führte Dr. Stefanie Blankenburg (Zentrum für Forschung und Innovation).

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