Wie die Mobilitätswende gelingt

Im urbanen Raum gibt es wenig Platz, auch für den Verkehr. Die „Mobilitätswende“ stellt den bisherigen Autoverkehr infrage. Prof. Dr. Johannes Schlaich, Fachbereich III, erläutert in der Interview-Reihe „Drei Fragen, drei Antworten“, mit welchen Veränderungen Städte lebenswerter werden.

Porträt von Johannes Schlaich
Prof. Dr. Johannes SchlaichBild: J. Schlaich

Die Zeiten der „autogerechten Stadt“, die den motorisierten Individualverkehr in den Mittelpunkt der Stadtplanung stellte, sind vorbei. Heutzutage steht die „Mobilitätswende“ im Fokus von Politik und Wissenschaft. Auch Prof. Dr. Johannes Schlaich, Fachbereich III, befasst sich an der BHT mit dem Konzept.

Prof. Dr. Schlaich, was hat es mit der „Mobilitätswende“ auf sich, von der immer wieder zu lesen ist?

Die „Mobilitätswende“ ist ein Begriff, der den Wunsch vieler Menschen nach einer nachhaltigeren, gerechteren und effizienteren Mobilitätsform ausdrückt. In Deutschland ist das gesamte Verkehrssystem zwar ausgereift, doch es hat seinen Preis: hohe CO2-Emissionen, Feinstaubbelastung, Verkehrstote, Lärmbelästigung und Staus sind nur einige der negativen Begleiterscheinungen.

Zudem sind unsere Verkehrssysteme nicht auf die Bedürfnisse aller Menschen abgestimmt. Zum Beispiel gehen Menschen mit Behinderungen oder diejenigen, die kein Auto besitzen wollen oder können, oft als Verlierer*innen hervor. Das liegt daran, dass die Planung unserer Verkehrssysteme in den vergangenen Jahrzehnten stark vom Auto getrieben war.

Die Mobilitätswende steht für den gesellschaftlichen Wunsch, einen anderen Weg einzuschlagen: umweltfreundlicher, menschenfreundlicher und inklusiver. Einfache Lösungen gibt es leider nicht. So ist ein Elektroauto zwar klimafreundlicher und gerade bei geringen Geschwindigkeiten leiser, dennoch bleibt es ein Auto: Es braucht viel Platz, steht im Schnitt mehr als 23 Stunden herum und verursacht Reifenabrieb sowie Unfälle.

Das heißt: Die Mobilitätswende steht für die Ablehnung des Autos?

Nein, Autos sind besonders auf dem Land oder bei spezifischen Bedürfnissen nach wie vor unverzichtbar. Sie bieten individuelle Freiheit und können effizient sein, wenn wir sie klug nutzen. Nur ist der Platz in urbanen Räumen beschränkt: Mehrere Fahrstreifen für Kraftfahrzeuge, Fahrrad- und Gehwege, dazu Parkplätze und Grünflächen, auf denen Regenwasser versickern kann – alles zugleich geht nicht. Sprich: Wir müssen uns entscheiden.

Ein Beispiel ist die Müllerstraße im Wedding, auf der ein Parkstreifen in einen Radweg umgewandelt wurde. Natürlich entstehen dadurch Konflikte, die sich nicht vollständig auflösen lassen. Wobei sowohl Befürworter*innen als auch Gegner*innen in ihrer Argumentation oft übertreiben und die eigenen Idealvorstellungen verfolgen, die am meisten auf Kosten der jeweils anderen Gruppe gehen.

Wir werden noch sehr lange alle Verkehrsmittel für die Mobilität brauchen. Selbst innerstädtisch gibt es Mobilitätswünsche, die sich nicht durch den Öffentlichen Verkehr oder das Fahrrad erfüllen lassen. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft zu überlegen, wie sich der verfügbare Raum bestmöglich nutzen lässt. Dabei geht es noch nicht einmal um Fragen der Mobilität auf dem Land, wo man ohne das Auto heute praktisch nicht auskommt.

Wie lässt sich die Mobilitätswende in Großstädten umsetzen?

Es gilt, die Mobilität in Netzwerken und hierarchisch zu denken. Für längere Wege müssen wir das S- und U-Bahn-System als Alternative zum Auto stärken. Der Öffentliche Verkehr muss das Rückgrat der Mobilität in den Städten sein. Für kürzere Strecken gilt es, das Radwegnetz auszubauen – und nicht zwangsläufig entlang von Hauptverkehrsstraßen. Diese Straßen haben die Funktion, viele Menschen zu transportieren und dabei den Verkehr aus den Wohngebieten herauszuhalten. Fahrradstraßen könnte man deshalb auf Nebenstraßen einrichten, auf denen der Radverkehr dann Vorfahrt bekommt.

Gleichzeitig kommen wir nicht darum herum, das Autofahren unattraktiver zu machen, um die Lebensqualität zu steigern. Das bedeutet zum Beispiel die Einführung von Tempo 30 und Verkehrsberuhigung. In Kiezblöcken, also Wohngebiete ohne Durchgangsverkehr, sollen aus früheren Verkehrsflächen lebenswerte Quartiere entstehen. In Berlin werden solche Maßnahmen von großen Teilen der Gesellschaft unterstützt, zumindest deuten die Nutzungszahlen der Verkehrsmittel und die Veränderung in Richtung Radverkehr darauf hin.

Allerdings dauert ein solcher Wandel viel Zeit und ist teuer: Für einen Kilometer Straßenbahn sind es zehn Millionen Euro, für einen Kilometer Radschnellweg eine Million Euro. Auch die Lebensqualität in Kiezblöcken ist eine Frage des Budgets für den Umbau und vermehrt auch der Verfügbarkeit von bauausführenden Firmen. Die Pläne für den Kiezblock im Brüsseler Kiez sind übrigens auf Basis einer Bachelorarbeit entstanden, die ich betreut habe.

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