Theatergebäude gleichen Ankerpunkten in Großstädten, deren Lage den Bewohnerinnen und Bewohnern zumeist bekannt ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob man dem Schauspiel zugeneigt ist oder nicht. Der Grund, dass sie einen solchen Stellenwert im öffentlichen Bewusstsein besitzen, liegt in der Vergangenheit. „Das Theater war einst das Leitmedium für Kultur, Gesellschaft und das nationale Selbstverständnis“, sagt Halvard Schommartz, Promotionstipendiat der Berliner Hochschule für Technik (BHT). In Gebäuden, Szenografie, Bühnentechnik und Stücken habe sich dies widergespiegelt, auch im Stadtbild. „Theaterbauwerke mussten freistehen, wie ein Theater aussehen und sich in Nähe zum politischen Zentrum befinden.“ Mit dem Aufkommen des Kinos und anderer Medien verlor die Institution dann allerdings an Bedeutung.
Im Forschungsprojekt „Theaterbauwissen“, finanziert von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), setzt sich Schommartz mit der Geschichte des Theaters im gesellschaftlichen Kontext auseinander. Im Mittelpunkt steht die sogenannte Theaterbausammlung, die seit Jahrzehnten im Berliner Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) lagert. Der Bestand, bestehend aus rund 5000 Stücken, wurde zwischen 2016 und 2018 erschlossen und digitalisiert, seit 2020 wird er in dem DFG-Projekt wissens- und sammlungsgeschichtlich erforscht. Kooperationspartner sind neben der TU Berlin die Freie Universität Berlin (FU Berlin) und die Berliner Hochschule für Technik (BHT), letztere vertreten durch Prof. Dr. Bri Newesely, Studiengang „Theater- und Veranstaltungstechnik und -management“ am Fachbereich VIII.
Heterogen und ungeordnet
Der Kernbestand der Theaterbausammlung geht auf die Nationalsozialisten zurück. Albert Speer, Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, gab 1939 eine Bestandsaufnahme der Theaterbauten und -bühnen im Deutschen Reich in Auftrag. Daraus sollte das Handbuch „Das Deutsche Theater“ entstehen, was jedoch nie geschah. Neben Fotografien enthält die Kollektion Zeichnungen sowie Hand- und Druckschriften zu beinahe 500 Theatern. In der Nachkriegszeit wurde die Schommartz zufolge „sehr heterogene und ungeordnete“ Sammlung mit Nachlässen von Theaterexperten ergänzt.
In dem DFG-Projekt, auf drei Jahre angelegt und um ein Jahr kostenneutral verlängert, wird der Fundus für die angedachte NS-Publikation dokumentiert. Außerdem werden zwei gemeinsam mit der Theaterbausammlung überlieferte Nachlässe erforscht, darunter auch die Hinterlassenschaften von Friedrich Kranich (1880-1964). In einem Teilprojekt, für das Schommartz zuständig ist, setzt er sich mit dem Theatertechniker auseinander. Kranich habe mit seinen beiden Standardwerken „Bühnentechnik der Gegenwart“, erschienen 1929 und 1933, Einfluss auf die Entwicklung des Theaters genommen. „Das Werk ist ein herausragendes Beispiel, wie das zuvor praktische und an das jeweilige Theaterhaus gebundene Wissen der Bühnentechnik in Schrift und Bild übertragen wird“, sagt der Promotionstipendiat.
Antisemitisch geprägte Theatervorstellung
Friedrich Kranich habe den Theaterbetrieb erstmals umfassend zu standardisieren versucht, dabei auf Wirtschaftlichkeit, Rationalisierung und die gesellschaftliche Autorität der Ingenieursfigur in der Bühnentechnik gesetzt. Aus seinen Büchern und Hinterlassenschaften wird Schommartz zufolge gleichzeitig eine spezifische Vorstellung von Theater deutlich. „Die betriebliche Praxis sollte eine Infrastruktur für ein explizit ‚deutsches Kulturtheater‘ schaffen.“ Kranich habe mit seinen theaterbetriebswissenschaftlichen Schriften und seiner Betriebsorganisation einen Theaterbetrieb vereinheitlicht, der bis heute in Form der Stadt- und Staatstheater die deutsche Kulturlandschaft prägt.
Der Einfluss zeigt sich ebenso in der Abgrenzung zu privat betriebenen „Geschäftstheatern“, die Kranich in seinen Lehrwerken voraussetzte. Die Trennung zwischen den Theatertypen habe bereits in der Weimarer Republik existiert, so Schommartz. Auf der einen Seite habe es die Idee des sogenannten Kulturtheaters, verkörpert durch Stadt- und Staatstheater, gegeben. Auf der anderen Seite richteten sich kommerziell betriebene Theater auf die Unterhaltung der Zuschauerinnen und Zuschauer aus. Kranich unterstellte den privaten Betreibern einen spekulativen, gewinnorientierten Charakter. „Dahinter stehen antisemitisches Stereotype, die in dieser Zeit extrem virulent waren und von den Menschen sofort verstanden wurden.“ In den Hinterlassenschaften von Friedrich Kranich zeigt sich Schommartz zufolge also auch eine latent antisemitisch geprägte Theatervorstellung.
Forschungsprojekt „Theaterbauwissen“
- Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
- Kooperationspartner: TU Berlin, FU Berlin, Berliner Hochschule für Technik
- Zeitraum: Oktober 2020 bis Oktober 2024
- Kontakt an der BHT: Halvard Schommartz
- Weitere Informationen auf der Projekt-Website und der DFG-Website