Zweitmeinung durch den KI-Doktor

Forscher*innen untersuchen, wie Künstliche Intelligenz die medizinische Diagnostik revolutionieren kann. Computermodelle sollen schon bald Patientenakten, medizinische Bilder, Laborergebnisse und Symptome verlässlich analysieren und Prognosen abgeben können. Eine Herausforderung bleibt jedoch.

KI-Arzt und Gehirnscans
Fehler in der Diagnostik vermeiden: Ein Computermodell analysiert Patientenakten, Laborergebnisse und medizinische Bilder.Bild: BHT/MuseAI, merydolla – stock.adobe.com

Die Berliner Hochschule für Technik (BHT) untersucht in einem Forschungsprogramm, wie eine Zukunft mit Künstlicher Intelligenz aussehen könnte. Unter dem Titel „Berliner Initiative für Forschung im Bereich Foundation Models“ (Appl-FM) wird ein interdisziplinäres Team von zehn Forschenden aus verschiedenen Fachrichtungen mit einem Fördervolumen von fünf Millionen Euro über fünf Jahre unterstützt. Diese Initiative ist Teil der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ins Leben gerufenen Forschungsimpulse (FIP), die darauf abzielen, anwendungsorientierte Grundlagenforschung zu fördern. In dem Programm sollen mit Foundation Models – hochentwickelte KI-Systeme, die Muster in Daten erkennen und lernen können – neue Lösungen für aktuelle Herausforderungen entwickelt werden. Im Fokus steht dabei auch der Bereich Prädiktive Medizin.

Von Sprech-Stunde kann da kaum die Rede sein: Laut einer Studie der Universität Cambridge haben Ärztinnen und Ärzte in Deutschland im Durchschnitt 7,6 Minuten Zeit für ihre Patient*innen. Damit können weder die Patientinnen und Patienten, noch die Medizinprofis zufrieden sein. Was aber, wenn die vorhandene Zeit effizienter genutzt werden könnte und damit mehr Ressourcen dort zur Verfügung stünden, wo sie gebraucht werden? KI soll es möglich machen.

Zweitmeinung der KI

„Wenn man bei der Ärztin oder dem Arzt ist, sprechen sie erst einmal mit einem“, führt Prof. Dr. Alexander Löser, Experte für maschinelles Lernen am Fachbereich VI, in den Ablauf der medizinischen Diagnostik ein. Typischerweise würden eine körperliche Untersuchung durchgeführt, Symptome erfragt und Risikofaktoren erhoben. „Per Ausschlussverfahren wird festgelegt, was als Nächstes zu tun ist, ein kleines Blutbild als preiswerte Diagnostik zum Beispiel“, so Löser weiter, „einige Verdachtsdiagnosen verdichten sich, die wahrscheinlichsten oder kritischsten Diagnosen werden schließlich behandelt.“

Dieser Prozess sei nicht nur zeitaufwändig, sondern auch fehleranfällig. „Was wir gelernt haben ist, dass Fehler reduziert werden können, wenn man die Zweitmeinung einer Maschine einholt“, erklärt der Professor. Dies sei insbesondere bei ungewöhnlichen Symptomen und Risikokombinationen der Fall, die viele Ärzt*innen in ihrer Laufbahn nur selten oder sogar nie zu Gesicht bekommen.

Deep Patient Representation

Ein trainiertes Computermodell analysiert Patientenakten, medizinische Bilder, Laborergebnisse und die von den Patient*innen angegebenen Symptome. Durch Mustererkennung erstellt die KI dann Prognosen – genauer Differenzialdiagnosen, also Krankheiten, die neben der eigentlichen Verdachtsdiagnose noch in Betracht gezogen werden müssen. Und das geschieht mit hoher Treffsicherheit: „Das Computermodell, die sogenannte Deep Patient Representation, kann schon mehrere zehntausend Patientenakten gesehen haben“, sagt Löser. Das übertreffe schlicht den Erfahrungsschatz der meisten Mediziner*innen und fördere die Präzision der medizinischen Befunde.

Warum also nicht gleich zum KI-Doc? Solche Ansätze gebe es schon in ländlichen Regionen Chinas, sagt Löser. In Deutschland sei man von dieser Entwicklung zum Glück weit entfernt. Denn die KI ist nicht unfehlbar. Die Computermodelle scheitern noch bei komplexen, multimodalen Vorgängen – und an zwischenmenschlichem Verständnis: „Auf die Frage ‚Wie geht es Ihnen?‘ sagt der Patient dann ‚Ach, eigentlich super‘, dabei nimmt er schon Medikamente, es kann ihm nicht super gehen. Und dann?“, fragt Löser. Die Antwort darauf gilt es (noch) vom Menschen herauszufinden.


Hintergrund: DATEXIS

Prof. Dr. Alexander Löser ist Teil der Forschungsgruppe „Data Science und Textbasierte Informationssysteme (DATEXIS)“ an der Berliner Hochschule für Technik (BHT). Die Schwerpunkte der Gruppe bilden Forschung und Lehre des Managements textbasierter und strukturierter Daten, zur Verarbeitung natürlicher Sprache (Naturual Language Proessing) und zum maschinellen Lernen (Deep Learning).


Autor: Lenn Sawade

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