Sie bilden eine einzigartige Landschaft: Feuchtgebiete. Zu finden sind sie dort, wo Land und Gewässer ineinander übergehen. Dem außergewöhnlichen Lebensraum kommt auch eine wichtige Funktion für das Klima zu. Der nasse Boden bindet das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2). „Feuchtgebiete sind sehr mächtige Kohlenstoffspeicher“, sagt Prof. Dr. Benny Selle, Fachbereich III. Fallen beispielsweise Blätter oder Nadeln von einem Baum auf den Boden, werden sie nicht vollständig zersetzt. Stattdessen wird das organische Material mitsamt dem darin enthaltenen CO2 Teil des Erdreichs.
Selle forscht im Projekt ReDOCs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Kohlenstoff-Bindung in Feuchtgebieten. Das Kooperationsprojekt entstand aus einem Phänomen, das Wissenschaftler*innen seit einigen Jahrzehnten beobachten: In einigen Flüssen steigt die Konzentration von gelöstem organischem Kohlenstoff (DOC), die dadurch eine braune Farbe annehmen. Später setzen Mikroorganismen den Kohlenstoff als CO2 wieder frei. Ursprünglich war das Gas als organisches Material in den Böden von Feuchtgebieten gebunden. Offenbar verliert das Erdreich zunehmend diese Speicherfähigkeit.
Weltweites Phänomen
Warum dies geschieht, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Das ReDOCs-Team vermutet als Ursache jedoch den Klimawandel: Mit den höheren Temperaturen sinke in den Feuchtgebieten der Wasserspiegel im Sommer tiefer. Wenn das Wasser im Herbst steige, löse es Kohlenstoff aus den Mooren. Die Folge: DOC gelangt in die Flüsse. Mit dieser Annahme verbindet Professor Selle allerdings auch eine Hoffnung. Gelänge es, den biochemischen Mechanismus dahinter zu verstehen, könnten daraus eines Tages Maßnahmen entstehen, mit denen sich das Treibhausgas aus der Atmosphäre im Boden dauerhafter binden lässt.
Weltweit registrieren Wissenschaftler*innen eine Zunahme von DOC in Flüssen in kühlen Klimaregionen, auch in deutschen Höhenlagen wie dem Erzgebirge, dem Harz und dem Bayrischen Wald. Die Untersuchungen für ReDOCs konzentrieren sich auf Schweden, auf das Einzugsgebiet des Flusses Krycklan. Das 6780 Hektar große Gebiet, welches wissenschaftlich gut dokumentiert ist, verfügt über eine Forschungsinfrastruktur. In dem dreijährigen DFG-Forschungsprojekt engagieren sich neben der Berliner Hochschule für Technik die Universität Münster, das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und die Swedish University of Agricultural Sciences.
Instrument gegen Klimawandel
In Krycklan sollen Wissenslücken geschlossen werden – von den Kohlenstoff-Bindungsmechanismen in den moorigen Böden über die Freisetzung als gelöster Kohlenstoff bis zur Verbreitung in den Flüssen. Für das DFG-Projekt hält sich die Doktorandin Anja Hortmann, die Professor Selle betreut, regelmäßig in Krycklan auf. Sie nimmt dort zum Beispiel Wasserproben aus einem Fluss, die für die chemische Analyse an deutsche Speziallabors geschickt werden. Das Ziel ist es, in Schweden Daten zu gewinnen und daraus ein Erklärungsmodell abzuleiten. Selle soll dieses Modell anschließend mit Messdaten aus dem Harz und dem Bayerischen Wald abgleichen und somit auf seine Richtigkeit prüfen.
Das Team, das seine Forschung im Jahr 2023 aufgenommen hat, verfolgt mit ReDOCs eine Theorie zur DOC-Freisetzung aus Feuchtgebieten, die erst noch belegt werden muss. „Wir vermuten, dass der Kohlenstoff vor allem durch Eisen im Boden stabilisiert wird“, sagt der Hydrologie-Experte. Dieser Mechanismus sei vor kurzem bereits in normalen Böden erforscht worden. Vermutlich werde das Eisen regelmäßig aus den Moorböden gelöst, wenn der Grundwasserspiegel beispielsweise im Herbst steige. Prof. Dr. Selle hofft, Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen sich der Klimawandel perspektivisch bekämpfen lassen könnte. „Wenn wir es schaffen, dass weniger organisches Material aus Feuchtgebieten in CO2 umgewandelt wird, wäre das großartig.“